Bericht von Ina 25.06.2018

Challenge Heilbronn 2018

Vielleicht kennen einige von euch dieses Phänomen ja mindestens genauso gut wie ich: Gerade beginnt man, während einer eher eintönigen Ausdauer-Einheit oder einer bestimmten Wettkampf-Phase jegliches Raum und Zeitgefühl hinter sich zu lassen und ist einfach nur bei sich, spürt den Wind der Geschwindigkeit, den dumpfen Herzschlag, die eigenen Muskeln mit aller Kraft die einen voran treibt...und dann taucht auf einmal eine Melodie ungefragt irgendwo aus dem Unterbewusstsein auf, setzt sich im Kopf fest und wiederholt sich in Gedanken - und man hat keinerlei Möglichkeit mehr zu entkommen...: „Einfach schwimmen, einfach schwimmen! Einfach schwimmen, schwimmen, schwimmen...Was machen wir?! Wir schwimmen, schwimmen...!“ So zum ersten Mal geschehen während meiner ersten Langdistanz in Podersdorf beim Austria Triathlon in 2012, als mich aus bisher ungeklärten Gründen auf einmal die – zwar durchaus recht freundlich-motivierende, auf die Dauer aber sehr nerv-tötende Stimme des Doktor-Fisches Dori aus dem Pixar-Hit „Findet Nemo“ verfolgte. Dann, wenig später auf der Radstrecke auf einmal Thomas D.(wirklich SEHR euphorisch), mit Rückenwind: „HEY!!! Ich packe meine Sachen und bin raus mein Kind, Thomas D. is auf der Reise und hat RÜCKENWIND...(und dann weiter in leichter Variation, vermutlich zur Anpassung an die gegebene Situation) hey, die Frau hat ne Meise, aber Rückenwind! Wir betreten neue Wege die wir noch nich hatten, ich nehm euch mit n Stück in meinem Windschatten, HEY!!“ Bester Song gegen mentale Tiefs, empfehle ich jedem mindestens drei Mal täglich vor einer Langdistanz zu hören ;-)

Aber stattdessen dann das hier: "WEISHEIT KOMMT NICHT IMMER MIT DEM ALTER..."
Für manche älteren Semester mag es Sich vielleicht etwas eigentümlich anhören, aber dieser wenig-erbauliche Spruch meines bisher letzten chinesischen Glücks-Kekses wurde mir ausgerechnet bei meiner zweiten Teilnahme bei der Challenge Heilbronn, einem meiner absoluten Lieblings-Rennen, wieder in Erinnerung gerufen. Nachdem ich mich mit Simon bereits vor ein paar Jahren in einem Sushi-Restaurant in München noch ziemlich gut darüber amüsiert hatte, dass natürlich ausgerechnet ICH diesen schönen Leitspruch als Lebensweisheit aufs Auge gedrückt bekam, hatte mich zwar kein allzu großes Bedürfnis nach chinesischen Essen mehr überkommen; aber nun stand ich nach 10 Jahren Triathlon-Erfahrung und (heuer erstmalig in der Alterklasse 35-39 startend) doch tatsächlich zum ersten Mal mit meinem Rad zum Einchecken an der Wechselzone nur um festzustellen, dass mein Helm ordentlich vorbereitet bei meiner Mom Zuhause im bereits systematisch zusammen gestellten Wechselzonen-Sackerl weilte...
Zum Glück war diesmal meine Schwester zur Unterstützung mit von der Partie und konnte mit meinem Bike beim Check-In warten, während ich noch einmal Richtung Marathon-Messe sprintete, um mir zum gegebenen Anlass einen Ersatz-Helm zu besorgen. Auch wenn am Vortag zu einem Half-Ironman mit über 1000 Höhenmetern auf der Radstrecke eine gemütlichere Gangart vermutlich immer angebracht ist - um 15 Uhr wollten wir ja dennoch von unserem Ausflug pünktlich zurück sein, schließlich waren wir nach dem Match der SOCCERROOS auch noch zum ersten WM-Spiel der Isländer zum familiären Viewing verabredet. Nunja, was man nicht im Kopf hat...

Am nächsten Morgen hatte ich dann zum ersten Mal seit dem sogenannten "Kuhsee-Triathlon" 2008 in Augsburg(der Name war damals im wahrsten Sinne des Wortes auch Programm)meine Eltern zum Support am Start. Und nach dem obligatorischen zweiten Cappuccino auf der Insel im Neckar, auf der sich gegen später auch der Schwimmausstieg befand, hatte mein Vater eine diebische Freude daran, sich vor seinem geistigen Auge sein nächstes, bevorstehendes Aufeinandertreffen mit Großmeister Sebi Kienle vorzustellen. Nachdem wir ihm 2012 beim 10km-Lauf in Calw (den er natürlich auch schon gewonnen hatte) über den Weg gelaufen waren und ich damals meinen Vater mit dem Ellbogen anstieß und sagte "...du, das ist übrigens der Sebastian Kienle aus Mühlacker; von dem wirst du sicher noch einiges hören wenn du den Triathlon-Sport ein bisschen weiter verfolgst", hatte ich also recht behalten. Der Hawaii-Sieger von 2014 sollte heuer bei seinem Heimrennen in Heilbronn auch starten und Andi Böcherer schließlich doch noch davon laufen. Während sich nun mein euphorischer Vater(ganz in seinem Unterhaltungstalent versunken) während der üblichen nervösen Stimmung vor dem Start in lebhaften Beschreibungen seines Mann-gegen-Mann-Duells mit Sebi verlor("...das Duell der Giganten...! Reichelt Roland, der mit seinem legendären Bauchplatscher-Start die Zuschauer und Konkurrenten in Atem hält...die Menge jubelt, liegt ihm förmlich zu Füßen, bereits unmittelbar nach dem Start...! Und dann, das Eingeständnis des Favoriten Kienle: Rolli, ich muss nun anerkennen: Der Sieg ist dein! Gratulation, guter fight! You are the man!")brauchte der Athlet der neben mir stand (und der blühenden Phantasie meines Dads wohl in der ganzen Geräuschkulisse am besten folgen konnte) vor lachen mehrere Anläufe um seinen Neopren anzuziehen. Vielleicht sollte da doch noch einer über eine Weiterbildung in Richtung Sport-Mentaltrainer nachdenken? ;-) Lachen ist ja doch einfach immer wieder die beste Medizin...

Während ich mich nun für den heuer ersten Rolling-Start bei diesem Rennen in die Gruppe mit den Startern mit einer geschätzten Zeit um die 36 Minuten einreihte und langsam Richtung Schwimmeinstieg und Zeitmessungsmatte vorschob, entdeckte ich auf einmal wieder ein bekanntes Gesicht unter den Zusehern entlang meines Weges: Mein früherer Trainer Werner Menzinger vom TF-Feuerbach, der mir kurz vor meinem Umzug von Stuttgart nach München vor ein paar Jahren immer wieder gepredigt hatte, dass ich es auf keinen Fall vermeiden solle, die leistungsmässig Schwächere zu sein, sondern im Gegenteil: "...du musst immer mit den Stärkeren trainieren, sonst lernst du nichts dazu." ;-)
Auch wenn man aus heutiger Sicht schließen kann, dass ich diesem Rat seitdem immer wieder gefolgt bin, konnte ich dennoch bei der ersten Disziplin meine 36-Minuten-Zeit vom Vorjahr nicht ganz wiederholen - was auch an der heuer eher stärkeren Strömung auf dem ersten Teil der Strecke rauf den Neckar gelegen haben mag. Nach einer Schrecksekunde im Wasser, während der ich in einer kleineren Athletengruppe noch einmal einen eiligen Haken schlagen musste weil es platzmäßig auf Grund eines großen Schiffes zu meiner linken sehr eng wurde, kehrte ich nach 38Minuten aus dem Wasser zurück auf die Neckarbrücke.
Wechselzonenzeiten sollte man in Heilbronn grundsätzlich auch nicht ganz so eng sehen, läuft man doch erst einmal ein gutes Stück von der Brücke an einem Parkhaus vorbei(früher war das mal die Wechselzone, aber das hatte sich zum Glück mittlerweile auch geändert, denn bei Simons Teilnahme in 2015 lag damals noch auf dem eher rutschigen Boden "in jeder Kurve ein Athlet";-P ) - und dann schließlich noch einmal um die Wechselzone herum; also wechselte ich ohnehin relativ entspannt in meine Radausrüstung und machte mich ganz gemütlich wieder auf den Weg...

Auf den ersten Kilometern wurde ich ohnehin noch einmal daran erinnert, dass dies für mich zwar ein wichtiger Vorbereitungswettkampf war, mein Hauptziel mit Roth am Sonntag in vierzehn Tagen aber allerhöchste Priorität hatte. So fuhr ich auch entsprechend vorsichtig und umsichtig mit dem Rad, was auf der sehr kurvigen und teilweise mit Gefällen um die 12% aufwartende Strecke das Allerwichtigste an diesem Tag war. Auch wenn es für den Kopf oft zach war, so oft ich überholt wurde von Athleten die unterwegs waren als ginge es um Leben und/oder Tod, ich erinnerte mich selber ständig daran, immer nur darauf zu achten was die Teilnehmer um mich herum als nächstes machten, wer mich wie überholte, wie der Asphalt und die Strecke beschaffen waren, die unmittelbar vor mir lag. So war ich dann auch vorgewarnt durch einen umsichtigen Kampfrichter, der mit seinem Motorrad mit Warnblinkanlage einen Unfall wenige Kilometer nach Heilbronn gut abgesichert hatte. Wenige Meter danach eine Blutspur, dann der schräg verdrehte, leblose Körper einer überfahrenen Katze, die diesen Crash wohl unmöglich überlebt haben konnte... der in den Unfall verwickelte Athlet rappelte sich gerade erst aus dem Straßengraben auf, offenbar noch leicht im Schockzustand, aber soweit auf den ersten Blick unverletzt; fraglich aber ob sein Rad zum weiter fahren noch zu gebrauchen war...
Kurz darauf eine steile links Kurve auf einer Abfahrt, wieder drei Männer im Straßengraben, wieder ein hellwacher Streckenposten der schon daher geeilt kam. An dieser Stelle muss ich die hervorragende Streckenabsicherung durch freiwillige Helfer und Polizei wirklich sehr loben, so sicher habe ich mich bisher selten gefühlt, einfach 1a die Maßnahmen hier.
Leider machte mir dafür meine permanent aus dem letzten Loch jaulende Hinterradbremse jede einzelne der zahlreichen Abfahrten madig. Auch wenn diese beim Einrollen am Vortag keinerlei Geräusche gemacht hatte, heute sorgte sie für einen Sound, dass es einem förmlich die Zehennägel aufrollte und führte dazu, dass die freundlichen Dorfbewohner irgendwo zwischen Heilbronn und Karlsruhe erschrocken zur Seite sprangen sobald ich in Hörweite kam. Ich fluchte einige Male laut vor mich hin, vielmehr konnte ich ja jetzt auch nicht mehr tun. Vielleicht war die ganze Geräuschkulisse aber auch eine stetige Erinnerung daran, die Abfahrten immer so zu wählen, dass ich wirklich nur im Rolltempo jederzeit zum Stehen hätte kommen können...
Jedenfalls, man mag den Schwaben wohl eine gewisse Reserviertheit und Emotionslosigkeit im Allgemeinen vorwerfen, bei der Challenge Heilbronn wird man aber immer eines besseren belehrt: Gemütliche Opas mit Zigarettenstummel im Mundwinkel, die vor irgendeinem urigen Fachwerk-Gasthof fernab der großen Zivilisation stehen und anerkennend Beifall klatschen, ganze Stammtische die ihre Bierbänke zu diesem Anlass, einem Radrennen mitten durchs Dorf, auf den Bürgersteig gestellt haben und mit allem was irgendwie Krach und Laune macht für Stimmung sorgen... bei einem der zahlreichen Anstiege hinaus aus einer Ortschaft gelang es mir, eine ganze Gruppe männlicher Athleten am Berg einfach stehen zu lassen, was die begeisterte Reaktion eines älteren Herren am Straßenrand hervor rief: „JAWOLL, SUBR MÄDEL! ZEIG DEN MÄNNERN MAL WIE MAN BERGE FÄHRT!!!“
Auch nach dem Wechsel auf die Laufstrecke nach 3 Stunden und 18 Minuten am Rad ging es sehr motivierend weiter, mit Begegnungen der ersten Dame Daniela Sämmler auf ihrem Weg zum Finish und kurz darauf Yvonne van Vlerken, der fliegenden Holländerin und Lady in Pink, die hier letztes Jahr so schwer auf der Radstrecke gestürzt war und heuer als starke Zweite ins Ziel kommen sollte...bis Kilometer 8 konnte ich meinen Schnitt von 4:45 vom Wings for life run noch gut halten, die Beine gefühlt super leicht, doch dann wurde es Zeit fürs erste Gel und damit fing wieder das altbekannte Stechen in der Magengegend an. Nach einer unumgänglichen Toilettenpause nahm ich etwas Tempo raus und konnte mich mit einem 5er Schnitt gut im Rennen halten und auch noch einige Plätze wieder gut machen - die vielen Zuseher, inklusive meiner Eltern mit Kuhglocke und Co. machten einen Krawall dass es eine Freude war und schließlich ging der Lauf mit einer Verpflegung bestehend aus Cola und Wasser auch noch auf, so dass ich nach einer Stunde und 40 Minuten mit der drittschnellsten Laufzeit in meiner Altersklasse den Zieleinlauf wirklich genießen konnte.
Nun heißt es noch einmal Kraft schöpfen vor Roth so gut es geht; und all die positiven, schönen Erlebnisse dieser Challenge mitnehmen für den ganz großen, langen Tag...

1000 Dank für allen Support an dieser Stelle noch einmal an meine Familie daheim in Deutschland, ihr seid einfach die Größten für mich!
XXX Eure Ina


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02.08.2018 - 10:04 Kommentar von Antje (Gast)


Liebes Inchen, Wenngleich ich am eigentlichen Wettkampftag nicht dabei sein konnte, bin ich natürlich froh, dass wir den Helmfauxpas am Vortag gemeinsam so gut ausmerzen konnten! Während des Wettkämpfe hielt Mum mich über's Handy auf dem Laufenden: " Sie ist jetzt grade aus dem Wasser gestiegen! Sieht gut aus!" Ich habe mich noch gefragt, wie man bitte gut aussehen soll, wenn man grade frisch der braun- grünen Plörre entstiegen ist, aber das war wohl auch anders gemeint.... Schön, dass es insgesamt so gut gelaufen ist... und wenn es nach mir ginge, dürften Deine Wettkämpfe in Zukunft gerne immer im Schwabenland stattfinden!!!!!!

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